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Bestimmt Sprache
unser Denken?

Gibt es einen kausalen Zusammenhang zwischen Sprache und Denken? Das Konzept, wonach „Sprache und ihre Strukturen menschliches Wissen und Denken begrenzen und determinieren“, gilt als linguistischer Determinismus. Einer der ersten Wissenschaftler, der diese Idee formulierte, war Wilhelm von Humboldt (siehe auch [2], Steiner 2014). Er ging davon aus, dass Sprachen sich nicht nur durch Laute und Zeichen unterscheiden, sondern auch durch die Weltsichten, die ihnen innewohnen Ein ähnlicher Gedanke liegt der Sapir-Whorf-Hypothese zugrunde. Laut ihrer radikalen Variante determiniert Sprache das Denken und linguistische Kategorien begrenzen und bestimmen kognitive Kategorien. Das würde auch bedeuten, dass Texte unmöglich von einer Sprache in die andere übersetzt werden können. Tatsächlich hatte Wilhelm von Humboldt bereits festgestellt, dass Unterschiede zwischen Sprachen sich eher darin manifestierten, was jemand sprachlich ausdrücken muss, als darin was jemand beschreiben kann oder in der Art zu denken. Und die Ansicht ist weit verbreitet (zumindest unter Übersetzern), dass, was sich in einer Sprache ausdrücken lässt auch in einer anderen gesagt werden kann

Was differenziert Sprachen?

Guy Deutscher untersucht diese Theorien detailliert in seinem Buch Im Spiegel der Sprache. Wichtig ist ihm vor allem, was ein Sprecher in der jeweiligen Sprache präzisieren muss. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Geschlecht im Deutschen und in anderen Sprachen, in denen das Geschlecht des Nomens durch einen bestimmten Artikel gekennzeichnet werden muss. Es gibt viele Beispiele, die einem englischen Muttersprachler fremd vorkommen. Deutscher hebt hervor, dass während die englische und deutsche Grammatik die Vergangenheit, das Präsens oder das Futur benötigen, um ein Verb näher zu bestimmen, dies im Chinesischen nicht der Fall ist. Hier kann die Verbform in allen Zeitformen die gleiche sein. Dagegen benötigt die Sprache der Matsés, die im Grenzgebiet zwischen Brasilien und Peru leben, noch weitaus mehr Präzisierungen, um vergangene Ereignisse zu beschreiben. So müssen die Matsés beispielsweise differenzieren, ob der Bericht eines Ereignisses auf unmittelbarer Erfahrung beruht, auf Beweisen, Mutmaßungen oder Gerüchten.

"Es gibt viele Beispiele, die einem englischen Muttersprachler fremd vorkommen."

Geozentrische Orientierung
vs.
Egozentrische Orientierung

Ein eindrucksvolles Beispiel wie unsere Muttersprache unser Denken beeinflussen kann, liefert Guugu Yimithirr, die Sprache einer Aborigine-Gemeinde nahe Cooktown an der Nordost-Küste Australiens. Die meisten Sprachen haben zwei Systeme, um räumliche Verhältnisse auszudrücken: ein egozentrisches System, das die Lage von Objekten mit ‚rechts‘ und ‚links‘, mit ‚vor‘ oder ‚hinter‘ etwas bezeichnet und ein geozentrisches System, das Richtungen in Bezug auf die Kompassanzeige bestimmt. Im Guugu Yimithirr wird nur das geozentrische System benutzt; es gibt also keine Worte, die den Lokaladverbialen ‚links‘, ‚rechts‘, ‚vor‘ oder ‚hinter‘ entsprechen. Das hat zur Folge, dass Sprecher dieser Sprache sich ihrer eigenen räumlichen Position bewusst sein müssen, um solche Verhältnisse überhaupt kommunizieren zu können.
Ein weiteres Beispiel einer geographischen Sprache ist Tzeltal, eine Maya-Sprache, deren Sprecher auf einem Bergzug in Mexiko leben und sich folglich mit ‚bergab‘, ‚bergauf‘ und ‚über‘ orientieren statt von ‚Norden‘, ‚Süden‘, ‚Osten‘ oder ‚Westen‘ zu sprechen. Diese Beispiele belegen nicht, dass unsere Muttersprache unser Denken bestimmt oder unsere Ausdrucksmöglichkeiten begrenzt. Doch sie decken überraschende Unterschiede zwischen den Sprachen auf, in Bezug darauf, was wir beim Sprechen präzisieren müssen und worauf wir in der Kommunikation unsere Aufmerksamkeit richten müssen.

Fazit

Die aufgeführten Beispiele belegen nicht, dass unsere Muttersprache unser Denken bestimmt oder unsere Ausdrucksmöglichkeiten begrenzt. Doch sie decken überraschende Unterschiede zwischen den Sprachen auf, in Bezug darauf, was wir beim Sprechen präzisieren müssen und worauf wir in der Kommunikation unsere Aufmerksamkeit richten müssen.
References
1. von Humboldt, W. (1820) über die Verschiedenheit der Sprachen: „Ihre Verschiedenheit ist nicht eine von Schällen und Zeichen, sondern eine Verschiedenheit der Weltansichten selbst.“ „Über das vergleichende Sprachstudium in Beziehung auf die verschiedene Epoche der Sprachentwicklung“, s. 20; Gesammelte Schriften VII, 27.
2. Steiner, G. (2014) Nach Babel: Aspekte der Sprache und des Übersetzens (suhrkamp taschenbuch wissenschaft).
3. Wiki Artikel über die Sapir-Whorf-Hypothese.
4. „Geht man von einem linguistischen Determinismus aus, folgt daraus eine prinzipielle Unübersetzbarkeit fremdsprachlicher Texte.“ Wiki Artikel über Untranslatability.
5. Deutscher, G. (2012) Im Spiegel der Sprache, 320 s. Deutscher Taschenbuch Verlag.

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